Verfahrensrechte des Steuerpflichtigen

Gesetzliche Grundlagen
§ 134 StG
§ 135 StG
Art. 114 DBG
Art. 115 DBG


Weitere Grundlagen
Kreisschreiben ESTV Nr. 30 vom 21. Dezember 2010: Ehepaar- und Familienbesteuerung nach dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG)


Inhalt
1            Akteneinsichtsrecht
1.1         Akteneinsicht im laufenden Verfahren
1.1.1      Zeitpunkt
1.1.2      Voraussetzung
1.1.3      Ort der Einsichtnahme
1.1.4      Berechtigte
1.1.5      Umfang und Zeitpunkt
1.1.6      Verweigerung der Akteneinsicht
1.2         Akteneinsicht im abgeschlossenen Verfahren
2            Beweisabnahme
2.1         Allgemeines und Begriffe
2.2         Voraussetzungen der Beweisabnahme
2.3         Verzicht auf Beweisabnahme
2.4         Mitwirkungspflicht
3            Direkte Bundessteuer


1           Akteneinsichtsrecht

Das Recht auf Akteneinsicht ist Bestandteil des in der Bundesverfassung in Art. 29 geregel-ten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Im Recht der direkten Steuern ergibt sich der Um-fang des Gehörsanspruchs zunächst aus der Spezialbestimmung von § 134 StG. Darüber hinaus gelten die aus der Bundesverfassung folgenden Verfahrensregeln. Allerdings ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2 BV kein über die erwähnten Spezialbestimmungen hinausgehendes Einsichtsrecht (Urteil BGer 2C_160/2008 vom 1. September 2008, E. 2.4). 


1.1       Akteneinsicht im laufenden Verfahren

1.1.1    Zeitpunkt

Das Akteneinsichtsrecht wird grundsätzlich nur im hängigen Verfahren gewährt. Als hän-giges Verfahren gilt jedes nicht rechtskräftig abgeschlossene und damit noch laufende Steuerverfahren (Veranlagungs- und Rechtsmittelverfahren sowohl im ordentlichen Veranlagungsverfahren als auch im Nachsteuer- und Steuerstrafverfahren). Zum Einsichtsrecht ausserhalb eines hängigen Verfahrens siehe Ziff.  1.2.


1.1.2    Voraussetzung

Das Akteneinsichtsrecht wird auf Gesuch des Steuerpflichtigen hin gewährt. Kein Gesuch ist aber zu stellen, wenn die Steuerbehörden entscheidwesentliche Akten beiziehen, welche der Steuerpflichtige nicht kennt und auch nicht kennen kann. Diesfalls ist der Steuer-pflichtige zu benachrichtigen. 
Das Gesuch kann mündlich am Schalter gestellt werden, wobei sich der Steuerpflichtige über seine Identität und allenfalls seine Berechtigung ausweisen muss. Andernfalls ist das Gesuch schriftlich und unterschrieben per Post einzureichen. 


1.1.3    Ort der Einsichtnahme

Originalakten können grundsätzlich nur in den Amtsräumen (Steueramt, Veranlagungs-behörde) eingesehen werden. Das Gesetz gewährt dem Steuerpflichtigen und dessen Vertreter, auch einem Rechtsanwalt, nur das Recht auf Einsichtnahme, nicht aber auf Aushändigung oder Zustellung der Akten (Urteil KSG SGDIV.2019.9 vom 7. Januar 2019 E. 3.2). Hingegen verlangt das Bundesgericht, dass bei Nichtherausgabe von Akten Kopien gegen Gebühr herzustellen sind, soweit dies der Verwaltung keinen unverhältnismässigen Aufwand verursacht (BGE 122 I 109). Die Gebühr beträgt CHF 0.50 je bedruckter A4-Seite und CHF 0.70 je A3-Seite (§ 21 Abs. 5 GT [Gebührentarif vom 8. März 2016; BGS 615.11]). Sie wird ab einem Gesamtbetrag von CHF 20 in Rechnung gestellt. 


1.1.4    Berechtigte

Berechtigt zur Einsichtnahme ist die steuerpflichtige Person und ihr vertraglicher oder gesetzlicher Vertreter. Zur gehörigen Vertretung siehe StB SO § 133 Nr. 1.
Bei gemeinsam steuerpflichtigen Ehegatten ist jeder Ehegatte allein berechtigt, die gesamten Akten einzusehen, d.h. auch diejenigen des anderen Ehegatten. Dies gilt für die gemeinsam veranlagten Steuerperioden auch dann, wenn die Ehegatten in der Zwischenzeit getrennt oder geschieden sind; das gegenseitige Einsichtsrecht entfällt erst ab jener Steuerperiode, für welche die Ehegatten getrennt veranlagt werden (KS ESTV Nr. 30, Ziff. 15.6). Dasselbe gilt auch für eingetragene Partnerschaften (§ 14bis Abs. 2 StG).
Nach dem Tod des Steuerpflichtigen treten dessen Erben in seine Rechte und Pflichten ein (§ 18 Abs. 1 StG) und haben deshalb grundsätzlich die gleichen Verfahrensrechte wie der Verstorbene. Das Einsichtsrecht steht jedem Erben einzeln zu. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um gesetzliche oder eingesetzte Erben handelt. Die Akteneinsicht ist jedoch Vermächtnisnehmern verwehrt, ebenso Personen, die zu Lebzeiten des Verstorbenen erbvertraglich auf ihr Erbrecht verzichtet oder nach dem Tod die Erbschaft ausgeschlagen haben. Wer als Erbe Akteneinsicht verlangt, hat seine Erbberechtigung nachzuweisen (z.B. durch Vorweisen einer Erbenbescheinigung).
Bei juristischen Personen steht das Akteneinsichtsrecht den im Handelsregister eingetragenen Organen zu (z.B. Geschäftsführung, Verwaltungsrat etc.). Kein Einsichtsrecht haben Angestellte oder Beteiligte der juristischen Person, die nicht oder nicht mehr Organ sind, selbst wenn sie diese wirtschaftlich beherrschen (z.B. Alleinaktionär). Das gilt auch für die Akten jener Steuerperioden, in denen sie noch Organfunktion hatten. Hingegen kann der Aktionär in jene Akten der Gesellschaft Einsicht nehmen, die für seine Veranla-gung herangezogen werden. Bei Umstrukturierungen steht das Einsichtsrecht in die Akten einer übernommenen juristischen Person der Übernehmenden zu (§ 88 Abs. 3 StG).


1.1.5    Umfang und Zeitpunkt

In die Akten, die der Steuerpflichtige eingereicht oder unterzeichnet hat (Steuererklä-rung, Lohnausweis, Protokoll der eigenen Befragung usw.), kann er jederzeit Einsicht nehmen (§ 134 Abs. 1 StG). In gleicher Weise sind die Erben berechtigt, die vom Erblasser eingereichten Unterlagen einzusehen. Ihnen darf aber unter besonderen Umständen aus Rücksicht auf die Geheimsphäre des Verstorbenen die Einsicht in seine Akten (teilweise) verweigert werden (§ 134 Abs. 2 StG). Ebenso haben sie während der Dauer des Inventari-sationsverfahrens (siehe dazu §§ 173 bis 176 StG) kein Anrecht auf Akteneinsicht (BGer in ASA 69 290 = StE 2000 B 92.52 Nr. 3 = Die Praxis 88 [1999] Nr. 107). Das Inventarisationsverfahren wird durch ein Inventar abgeschlossen.
Anspruch auf Einsicht in die übrigen Akten besteht erst, nachdem die Ermittlung des Sachverhalts abgeschlossen ist und soweit nicht öffentliche oder private Interessen entgegenstehen (§ 134 Abs. 2 StG). Das schliesst nicht aus, dass das Steueramt nicht schon vor-her Akteneinsicht gewähren kann, wenn keine Gefahr auf Vereitelung des Untersu-chungszwecks besteht. Zu den übrigen Akten gehören alle, die für den Entscheid wesent-lich sind. Das sind alle als Beweismittel dienenden Aktenstücke sowie alle Akten, die Verfahrenshandlungen der Steuerbehörden festhalten (z.B. Auskunftsgesuche, Stellungnahmen anderer Behörden und Dritter, Protokolle von Augenscheinen und Befragungen, Urkunden von bescheinigungs- und meldepflichtigen Personen, Meldungen von Steuerbehörden, Berichte über Buchprüfungen usw.).
Das öffentliche Interesse kann die Einsicht in diejenigen Akten verbieten, die beispielsweise auch noch in einer laufenden Untersuchung gegenüber einem anderen Steuerpflichtigen von Bedeutung sind. Ebenso können schützenswerte private Interessen, wie z.B. Ge-schäftsgeheimnisse oder die persönlichen Verhältnisse Dritter, zu einer Beschränkung des Akteneinsichtsrechts führen. Dies gilt unter Umständen auch für die Akten des Erblassers oder des anderen Ehegatten (z.B. Strafakten). Erforderlich ist somit eine Interessenabwä-gung zwischen den öffentlichen oder privaten Interessen an der Geheimhaltung und dem Interesse des Steuerpflichtigen an der umfassenden Akteneinsicht. 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht kein Anspruch auf Einsicht in interne Akten der Steuerbehörden. Als interne Akten gelten dabei Unterlagen, denen für die Be-handlung eines Falls kein Beweischarakter zukommt, sondern die vielmehr ausschliesslich der verwaltungsinternen Meinungsbildung dienen und somit für den verwaltungsinter-nen Gebrauch bestimmt sind (z.B. Notizen, interne Weisungen, Entwürfe usw.).


1.1.6    Verweigerung der Akteneinsicht

Akten, in welche die Einsicht zulässigerweise verweigert wurde, können trotzdem zum Nachteil des Steuerpflichtigen verwendet werden. Voraussetzung ist aber, dass ihm vom wesentlichen Inhalt schriftlich oder mündlich Kenntnis gegeben wird. Zudem muss er Gelegenheit erhalten haben, dazu Stellung zu nehmen und Gegenbeweismittel einzureichen (§ 134 Abs. 3 StG).
Verweigert das Steueramt die Akteneinsicht, muss es dies auf Verlangen des Gesuchstellers mit Verfügung bestätigen. Diese kann direkt mit Rekurs an das Kantonale Steuergericht angefochten werden (§ 134 Abs. 4 StG). Die Rekursfrist beträgt 10 Tage (§ 160 Abs. 2 i.V.m. § 149 Abs. 1 StG).
Ist die Akteneinsicht zu Unrecht verweigert worden, liegt darin stets auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV. Dieser Mangel kann jedoch im Rechtsmittelverfahren in der Regel dadurch geheilt werden, dass die unterlassene Akten-einsicht von der Rechtsmittelbehörde gewährt wird (Urteil BGer 2C_980/2013 vom 21. Juli 2014, E. 4.3). 


1.2       Akteneinsicht im abgeschlossenen Verfahren

Auch nach rechtskräftigem Abschluss des Veranlagungsverfahrens können grundsätzlich die gleichen Berechtigten und unter den gleichen Voraussetzungen wie im laufenden Verfahren Einsicht in die Akten nehmen. Zusätzlich zum hängigen Verfahren wird aber verlangt, dass der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen kann (BGE 122 I 153). Dafür kann es steuerliche Gründe geben (Möglichkeit eines Revisionsgesuches prüfen, Übertrag von Angaben auf die neue Steuererklärung), aber auch andere (z.B. Begründung von Ansprüchen im Scheidungsprozess, wobei aber das Akteneinsichtsrecht nur für die gemeinsam veranlagten Steuerperioden gewährt wird). Erben werden die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens des Erblassers ebenfalls nur geöffnet, wenn und soweit sie ein rechtlich erhebliches Interesse am Einsichtsrecht nachweisen (z.B. Klärung von Erb-ansprüchen) und die Gewährung des Akteneinsichtsrechts zumutbar erscheint. Dabei ist jeder einzelne Erbe berechtigt, Akteneinsicht zu verlangen (KSG SGDIV.2003.3 vom 26. Januar 2004).


2          Beweisabnahme

2.1       Allgemeines und Begriffe

Der Anspruch auf rechtliches Gehör von Art. 29 Abs. 2 BV gibt dem Steuerpflichtigen nicht nur das Recht auf Akteneinsicht, sondern auch verschiedene Mitwirkungsrechte. Dazu gehört nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Recht, sich vor Erlass eines Entscheides zur Sache zu äussern, das Recht auf Beweisabnahme sowie das Recht, an der Er-hebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern (Urteil BGer 2C_104/2013 vom 27. September 2013, E. 2.1; BGE 135 II 286 E. 5.1). 
Beweismittel sind Sachen und Personen, die zur Feststellung des Sachverhalts in das Verfahren eingeführt werden, weil sie geeignet erscheinen, die Behörden vom Vorliegen rechtserheblicher Tatsachen zu überzeugen (MARTIN ZWEIFEL/SILVIA HUNZIKER, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], Art. 41 StHG N 14c). Als Beweismittel gelten namentlich die Befragung von Beteiligten und Auskunftspersonen, Urkunden, Augenscheine sowie Gutachten und schriftliche Auskünfte (§ 15 VRG; vgl. auch die nicht abschliessende Aufzählung in Art. 123 DBG). Als Beweismittel nicht vorgesehen ist hingegen die Zeugeneinvernahme.


2.2       Voraussetzungen der Beweisabnahme

Die Beweisabnahme gilt nicht unbeschränkt, sondern sie ist grundsätzlich an zwei Voraussetzungen gebunden: (1) Das Beweismittel muss sich auf eine rechtserhebliche Tatsache beziehen und (2) geeignet sein, diese Tatsache zu beweisen (§ 135 StG). Ferner muss das Beweismittel rechtzeitig und formgerecht angeboten worden sein. 


2.3       Verzicht auf Beweisabnahme

Betrifft das angebotene Beweismittel für die Veranlagung unerhebliche Tatsachen oder ist es nicht geeignet, den Beweis für die in Frage stehende rechtserhebliche Tatsache zu erbringen, darf die Behörde auf die Beweisabnahme verzichten (Urteil BGer 2D_54/2011 vom 16. Februar 2012, E. 3.1). Auch ist eine sog. vorweggenommene (antizipierte) Beweiswürdigung zulässig, d.h. die Behörde darf von der Abnahme eines Beweismittels absehen, wenn sie aufgrund bereits abgenommener Beweise ihre Überzeugung bereits gebildet hat und sie annehmen kann, dass ihre Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde.
Auch offenkundige (notorische) sowie unumstrittene Tatsachen müssen nicht bewiesen werden, ebenso wenig solche Tatsachen, für deren Vorhandensein eine gesetzliche oder natürliche Vermutung besteht. Offenkundig sind allgemein bekannte Tatsachen oder solche, welche der Steuerbehörde aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt sind (z.B. Daten aus dem Handelsregister). 


2.4       Mitwirkungspflicht

Der Steuerpflichtige muss die Tatsachen, die er beweisen will, hinreichend klar umschreiben, sofern diese nicht ohne Weiteres aus den Akten hervorgehen. Zudem hat er das angebotene Beweismittel deutlich zu bezeichnen. Ihn trifft diesbezüglich eine Mitwirkungspflicht. Es ist der Steuerbehörde nämlich nicht zuzumuten, in den Akten nach Tatsachen zu forschen, die der Steuerpflichtige mit dem angebotenen Beweismittel mutmasslich beweisen möchte, oder aufs Geratewohl offerierte Beweise abzunehmen, ohne zu wissen, ob und welche rechtserheblichen Tatsachen damit bewiesen werden sollten (zum Ganzen: MARTIN ZWEIFEL/SILVIA HUNZIKER, in: Zweifel/Beusch [Hrsg.], Art. 41 StHG N 14b). 



3         Direkte Bundessteuer

Die Regelung bei der direkten Bundessteuer ist identisch.