Genugtuungsleistungen

Gesetzliche Grundlagen
§ 32 StG
Art. 24 DBG


1    Begriff

In Fällen, in denen einer Person widerrechtlich Schaden zugefügt worden ist, kann eine Genugtuung zugesprochen werden. Dabei handelt es sich im wirtschaftlichen Sinn nicht um Schadenersatz, weil dem Zufluss kein direkter Vermögensabgang entgegensteht. Die Genugtuung bezweckt vielmehr die Wiedergutmachung eines ideellen oder immateriel-len Schadens, einer Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens. 
Genugtuungsleistungen stellen zwar im Unterschied zum Schadenersatz, der einen mate-riellen Schaden ausgleicht, einen Reinvermögenszugang dar. Sie sind aber aufgrund aus-drücklicher gesetzlicher Anordnung steuerfrei. Die Steuerfreiheit ist sozialpolitisch be-gründet, weil sich der Staat am Leid seiner Bürger nicht bereichern soll.


2    Gründe für eine Genugtuung und deren Höhe

Verschiedene Bundesgesetze sehen unter bestimmten Voraussetzungen die Zusprechung einer Genugtuung vor. Weil sie die gleiche Funktion erfüllen oder einen vergleichbaren Charakter aufweisen wie die Genugtuung, sind sie ebenfalls steuerfrei.


2.1    Genugtuung bei Tod und Körperverletzung (Art. 47 OR)

Gemäss Art. 47 OR kann bei Tötung eines Menschen oder Körperverletzung dem Verletz-ten oder den Angehörigen des Getöteten unter Würdigung der besonderen Umstände ei-ne angemessene Geldsumme als Genugtuung zugesprochen werden. Gründe dafür sind beispielsweise starke Schmerzen (darum umgangssprachlich als Schmerzensgeld bezeich-net), bleibende Verletzungen, eine lange Leidenszeit sowie das Risiko von Spätfolgen. Anspruch darauf hat bei Körperverletzung das Opfer, in besonders schweren Fällen und im Todesfall auch Angehörige. Diese Bestimmung des OR ist auch auf schädigende Hand-lungen nach Strassenverkehrsrecht anwendbar (Art. 62 SVG).

Die Genugtuung kennt keine festen Tarife. Dennoch orientiert sich die Praxis für die Bemessung der Höhe der Genugtuung an der Integritätsentschädigung nach UVG (siehe dazu nachstehend Ziff. 2.3), die höchstens dem maximalen versicherten Verdienst (seit 2016: CHF 148‘200) entspricht. In einer ersten Phase wird eine „Regel- oder Basisgenugtuung“ aufgrund der Schwere der Verletzung bzw. dauernden Schädigung ermittelt. Den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls wird dann in einem zweiten Schritt Rechnung getragen. Erhöhend, selbst in schweren Fällen in der Regel nicht mehr als auf das Doppelte, wirken sich z.B. aus:

  • das schwere Verschulden, die Rücksichtslosigkeit, die Brutalität des Haftpflichtigen beim Unfall oder bei der Straftat,
  • die Gefährlichkeit der Verletzungen, Komplikationen bei der Heilung, mögliche Spät-folgen, die lange Dauer der Aufenthalte in Spitälern und Rehabilitationskliniken, die verkürzte Lebenserwartung,
  • Verlust der Mobilität, Verminderung der sozialen Kontakte z.B. wegen häufiger Ortsabwesenheit, Entstellung oder Gehörsverlust,
  • familiäre Schwierigkeiten (unerfüllter Kinderwunsch, Erziehungsprobleme, ständige Rücksichtnahme usw.).

Zu einer Reduktion können u.a. führen:

  • ein geringes Verschulden des Haftpflichtigen, das Selbstverschulden des Verletzten oder wenn er ein Risiko eingegangen ist,
  • fortgeschrittenes Alter, vorbestehende Leiden (sog. Prädisposition), freiwillige Leistungen Dritter.

Die in der Schweiz gerichtlich zugesprochenen Genugtuungssummen sind im Vergleich zum Ausland eher bescheiden. Sie übersteigen bisher selbst in schwerwiegenden Fällen den Betrag von CHF 250‘000 nicht. Wird zugleich eine Integritätsentschädigung nach UVG ausgerichtet, ist die Genugtuung entsprechend zu kürzen.

Im Todesfall können nur Personen Genugtuung beanspruchen, die vom Tod schwer be-troffen sind, in erster Linie der überlebende Ehegatte und die Kinder, dann die Eltern, diese ev. auch, wenn das Kind bereits verheiratet war und nicht mehr im gleichen Haushalt lebte. Je nach den Umständen kommen auch Geschwister, Schwiegereltern und Verlobte in Frage, allenfalls auch ein Konkubinatspartner. Die Regel- oder Basisgenugtuung beim Verlust des Ehegatten beträgt nach der Rechtsprechung CHF 30‘000 bis CHF 50‘000, für den Verlust eines Elternteils in der Grössenordnung von CHF 25‘000 bis CHF 35'000 (Ur-teil des BGer 4A_423/2008 vom 12. November 2008), ähnlich beim Tod eines Kindes. Für die übrigen Anspruchsberechtigen sind sie entsprechend tiefer. Diese Basisbeträge sind nach den gleichen Kriterien wie die Genugtuung bei Körperverletzung und Invalidität zu erhöhen oder zu reduzieren.

In Haftpflichtfällen vergüten Versicherungen in der Regel sämtliche Leistungen inkl. Genugtuung in einer pauschalen Kapitalabfindung. Damit stellt sich das Problem, wie die steuerfreie Genugtuung zu ermitteln und aus der Gesamtleistung auszusondern ist. Dazu kann auf die Ausführungen in StB SO § 31 Nr. 4 verwiesen werden.


2.2    Genugtuung nach Opferhilfegesetz 

Personen, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integri-tät unmittelbar beeinträchtigt worden sind, haben Anspruch auf Unterstützung nach dem Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5). Die Opferhilfe umfasst unter anderem auch eine Genugtuung (Art. 2 OHG), deren Höhe sich nach der Schwere der Beeinträchtigung bemisst und die höchstens CHF 70‘000 für das Opfer und höchstens CHF 35‘000 für seine Angehörigen beträgt. Genugtuungsleistungen Dritter werden davon abgezogen (Art. 23 OHG).


2.3    Integritätsentschädigungen

Eine versicherte Person, die durch Unfall eine dauernde erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität erleidet, hat Anspruch auf eine angemes-sene Integritätsentschädigung. Sie wird mit der Invalidenrente festgesetzt oder, falls kein Rentenanspruch besteht, bei der Beendigung der ärztlichen Behandlung gewährt (Art. 24 UVG). Ihr Höchstbetrag entspricht dem maximalen versicherten Jahresverdienst (seit 2016: CHF 148‘200). Der Integritätsschaden wird gemäss Anhang 3 der UVV nach der Schwere des Organverlusts oder der Invalidität abgestuft (z.B. Tetraplegie 100 %, Paraplegie 90 %, Verlust eines Beines oberhalb des Kniegelenks 50 %, einseitiger Sehverlust 30 %).

Gemäss Art. 48 ff. des Bundesgesetzes über die Militärversicherung (MVG; SR 833.1) haben Versicherte, die eine dauernde erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität erleiden, Anspruch auf eine Integritätsschadenrente. Diese wird in der Regel aber ausgekauft, d.h. mit einer Einmalentschädigung abgefunden.


2.4    Entschädigung bei missbräuchlicher Kündigung des Arbeitsverhältnisses

Gemäss Art. 336a OR hat diejenige Partei, die das Arbeitsverhältnis missbräuchlich kündigt, der anderen Partei eine Entschädigung auszurichten, wobei Schadenersatzansprüche vorbehalten bleiben. Und bei einer ungerechtfertigten fristlosen Entlastung kann der Richter den Arbeitgeber verpflichten, dem Arbeitnehmer neben dem ordentlichen Lohn während der Kündigungsfrist eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 337c Abs. 3 OR). Diese Entschädigungen haben ebenfalls Genugtuungscharakter. Entschädigungen dieser Art können auch bei einer aussergerichtlichen Vereinbarung vorliegen, nicht nur wenn ein Gericht sie festsetzt. Die Steuerbehörde muss sich dann aber selber davon überzeugen können, ob eine missbräuchliche Kündigung vorliegt (KSGE 2013 Nr. 3). Andernfalls ist die Entschädigung steuerbar.


2.5    Genugtuung aufgrund anderer Rechtsgrundlagen

Verschiedene andere Bundesgesetze und auch Kantonsverfassungen (so auch Art. 8 Abs. 3 der Verfassung des Kantons Solothurn) sehen bei widerrechtlichen Einschränkungen der persönlichen Freiheit oder Verletzung von Persönlichkeitsrechten die Zusprechung von Genugtuung vor. Natürlichen Personen können beispielsweise in folgenden Fällen Anspruch auf Genugtuung haben:

  • Art. 49 OR: Bei widerrechtlicher Verletzung der Persönlichkeit, beispielsweise bei Na-mensanmassung (Art. 29 Abs. 2 ZGB);
  • Art. 429 und Art. 431 der Strafprozessordnung (SR 312.0): Eine beschuldigte Person, wenn ihr gegenüber rechtswidrig Zwangsmassnahmen angewandt worden sind, ebenso wenn sie ganz oder teilweise freigesprochen oder das Verfahren gegen sie eingestellt wird und sie in ihren persönlichen Verhältnissen, insbesondere bei Frei-heitsentzug, besonders schwer verletzt wurde.

In diesen Fällen wird der Genugtuungsanspruch in der Regel ausgewiesen sein.


3    Direkte Bundessteuer

Die Regelung bei der direkten Bundessteuer ist identisch.