Leistungen aus Haftpflicht
- § 31 Nr. 4 Version vom 18.03.2021 (pdf, 276 KB)
Gesetzliche Grundlagen
§ 31 StG
Art. 23 DBG
Inhalt
1 Voraussetzungen
2 Schadenersatz und Steuerpflicht
2.1 Schadensarten
2.2 Steuerliche Grundsätze
3 Haftpflichtleistungen bei Personenschäden
3.1 Elemente der Haftpflichtleistungen
3.2 Form der Leistungen
3.3 Koordination mit den Sozialversicherungen
4 Form der Besteuerung
5 Besteuerung der Leistungen
5.1 Erwerbsschaden
5.1.1 Ermittlung
5.1.2 Steuerliche Behandlung
5.2 Versorgerschaden im Todesfall
5.2.1 Ermittlung
5.2.2 Steuerliche Behandlung
5.3 Rentenschaden
5.3.1 Ermittlung
5.3.2 Steuerliche Behandlung
5.4 Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens
5.5 Haushaltschaden
5.5.1 Ermittlung
5.5.2 Steuerliche Behandlung
5.6 Betreuungs- und Pflegeschaden
5.7 Kosten
5.8 Genugtuung
5.9 Schadens- oder Verzugszins
5.9.1 Ermittlung
5.9.2 Steuerliche Behandlung
5.10 Ermittlung der steuerbaren Leistungen
5.11 Schattenrechnung der behinderungsbedingten Kosten
6 Direkte Bundessteuer
1 Voraussetzungen
Wer einem andern mit Verschulden Schaden zufügt, sei es durch mangelhafte Erfüllung eines Vertrages (Art. 97 OR), oder sei es durch unerlaubte Handlung (Art. 41 OR), wird dem andern zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Das OR und zahlreiche Spezialgesetze sehen die Haftung für den Schaden in gewissen Fällen auch vor, wenn den Schadenverursacher kein Verschulden trifft (sog. Kausalhaftung). Als bedeutende Beispiele können die Haftung des Gebäude- oder Werkeigentümers (Art. 58 OR) oder des Motorfahrzeughalters (Art. 58 Strassenverkehrsgesetz; SR 741.01; SVG) genannt werden, die für Schäden haften, die auf einen Werkmangel oder auf den Betrieb des Motorfahrzeuges zurückzuführen sind. Sind die gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen erfüllt und ist der Haftpflichtige obligatorisch (Motorfahrzeug) oder freiwillig (z.B. Werkeigentümer) gegen Haftpflicht versichert, ersetzt die Versicherung an seiner Stelle den Schaden. Namentlich bei der Motorfahrzeug-Haftpflicht kann der Geschädigte seinen Schadenersatz direkt bei der Versiche-rung des Schadenverursachers einfordern (Art. 65 SVG).
2 Schadenersatz und Steuerpflicht
2.1 Schadensarten
Der Schaden, der bei Haftpflicht zu ersetzen ist, kann nach verschiedenen Kriterien unterteilt werden. Für die Berechnung des Schadens und für die steuerliche Behandlung ist die Unterscheidung in Personenschaden einerseits und in Sachschaden und sonstigen Vermögensschaden anderseits von Bedeutung.
Personenschaden ist der Schaden, der durch Tötung oder Verletzung eines Menschen entsteht. Zu ersetzen sind die daraus folgenden wirtschaftlichen Nachteile des Verletzten und möglicherweise Invaliden bzw. der Angehörigen des Getöteten. Der Verletzte hat Anspruch auf Ersatz der Kosten, insb. der Heilungskosten, sowie auf eine Entschädigung für die Nachteile der ganzen oder teilweisen Erwerbsunfähigkeit (Art. 46 OR; ausführlicher: Ziff. 3.1 und 5). Im Todesfall sind die entstandenen Kosten der Bestattung und der versuchten Heilung sowie die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit bis zum Tod zu ersetzen. Haben Angehörige ihren Versorger verloren, haben sie ausserdem Anspruch auf Ersatz dieses Schadens (Art. 45 OR; ausführlicher: Ziff. 3.1 und 5.2). Opfer von Körperverletzungen und Angehörige von Getöteten haben unter Umständen Anspruch auf eine Genugtuungsleistung (Art. 47 OR).
Sachschaden ist der Schaden, der durch Beschädigung, Zerstörung oder Verlust einer Sache entsteht. Zu ersetzen sind je nach dem die Kosten der Reparatur oder für die Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzobjektes. Dazu können die Folgekosten kommen (z.B. Gewinnausfall oder Miete einer Ersatzanlage während der Reparatur) sowie alle Vermögensschäden, die in Zusammenhang mit dem Sachschaden stehen.
2.2 Steuerliche Grundsätze
Im schweizerischen Steuerrecht orientiert sich der Einkommensbegriff an der Reinvermögenszugangstheorie. Das bedeutet, dass nur echte Vermögenszugänge – wiederkehrende und einmalige Einkünfte – zu steuerbarem Einkommen führen.
Schadenersatz dient der Wiedergutmachung einer Vermögenseinbusse, indem der wirtschaftliche Zustand vor dem schädigenden Ereignis wertmässig wiederhergestellt wird. Er gleicht damit eine erlittene oder zukünftige wirtschaftliche Einbusse aus, weshalb kein Reinvermögenszugang vorliegt. Ersatzleistungen des Schadenverursachers oder seiner Versicherung stellen damit in diesem Umfang kein steuerbares Einkommen dar. Soweit damit aber steuerbare Einkünfte ersetzt werden, insbesondere wegfallende Erwerbseinkünfte oder Geschäftsgewinne, sind sie steuerbar. Zahlungen für die Deckung von Heilungskosten oder für Sachschäden im beweglichen Privatvermögen wären also auch ohne ausdrückliche Nennung im Gesetz (§ 32 lit. k und l StG) steuerfrei. Steuerfrei sind aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung Genugtuungsleistungen (§ 32 lit. g StG, Art. 24 lit. g DBG) sowie die Integritätsentschädigungen des Sozialversicherungsrechts, die der Genugtuung entsprechen.
3 Haftpflichtleistungen bei Personenschäden
3.1 Elemente der Haftpflichtleistungen
Nachstehend werden im Sinne einer Übersicht die wesentlichen Schadenspositionen aufgelistet und kurz umschrieben, die in Haftpflichtfällen ersetzt werden (nicht in jedem Fall alle). Im Falle von Körperverletzung und Invalidität sind folgende Schadenselemente zu nennen:
- Erwerbsausfall: Er bestimmt sich nach der Differenz zwischen dem Erwerbseinkommen, das die geschädigte Person hypothetisch ohne Schadenereignis (z.B. Unfall) erzielt hätte, und dem Einkommen, das sie aufgrund der verbleibenden Erwerbsfähigkeit noch erzielen kann bzw. könnte.
- Rentenschaden: Wegen des verminderten oder ganz wegfallenden Erwerbseinkommens kann die invalide Person keine gleichwertige Altersvorsorge aufbauen, so dass die Altersrenten der AHV und der beruflichen Vorsorge geringer ausfallen als ohne Unfall. Die Differenz zwischen den ohne Unfall zu erwartenden und den aufgrund des Unfalls reduzierten Altersleistungen wird als Rentenschaden bezeichnet.
- Haushaltschaden: Die Einschränkungen in der Haushaltführung aufgrund der Invalidität sind in jedem Fall zu ersetzen, ungeachtet ob die geschädigte Person eine Haushalthilfe anstellt, selbst einen höheren (zeitlichen) Aufwand betreibt, Angehörige zusätzlich beansprucht oder in der Haushaltführung Qualitätsverluste hinnimmt (BGE 131 II 656 Erw. 6.4 mit Hinweisen). Haushaltschaden entsteht nicht nur bei Personen, die ausschliesslich im Haushalt tätig sind, sondern auch bei Erwerbstätigen, Frauen und Männern, sofern sie sich bisher im Haushalt betätigt haben.
- Betreuungs- und Pflegeschaden: Darunter sind die Kosten für die Betreuung und Pflege einer verletzten Person zu verstehen. Als Pflege werden die Leistungen von qualifiziertem medizinischem Personal bezeichnet; Tätigkeiten wie An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Unterstützung bei der Fortbewegung usw. gelten als Betreuung. Nicht entscheidend ist, ob die Betreuung im Heim oder zu Hause durch Angehörige erfolgt.
- Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens: Darunter fallen die Nachteile der behinderten Person auf dem Arbeitsmarkt, die höheren Anstrengungen zur Erhaltung des bisherigen Verdienstniveaus und deren Folgen, die sich beispielsweise in vorzeitigen Abnützungserscheinungen manifestieren.
- Kosten: Gemäss Art. 46 OR sind die aufgrund der Verletzung entstandenen Kosten zu ersetzen. Zu nennen sind insbesondere die Kosten für die erste Hilfe inkl. Transporte, Heilungskosten (Arzt, Spital, Rehabilitation), Kosten der Therapie inkl. Reisen dorthin, für Hilfsmittel wie Prothesen, die Mehrkosten einer behindertengerechten Wohnung und schliesslich auch die Anwalts- und ev. Gerichtskosten, die aufgewendet wurden, um den Schadenersatz zu erlangen.
- Genugtuung: Sie bezweckt die Wiedergutmachung eines immateriellen Schadens, einer Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens. Gründe dafür sind beispielsweise starke Schmerzen (darum umgangssprachlich als Schmerzensgeld bezeichnet), bleibende Verletzungen, eine lange Leidenszeit sowie das Risiko von Spätfolgen. Im wirtschaftlichen Sinn handelt es sich nicht um Schadenersatz. Anspruch haben das Opfer einer Körperverletzung (Art. 47 OR), in besonders schweren Fällen auch Angehörige.
- Zinsen: Oft verstreicht vom Schadenereignis bis zur (versicherungsmässigen) Erledigung des Schadens eine lange Zeit. Deshalb schuldet der Haftende ab dem Schadenereignis einen Schadens- bzw. Verzugszins, der dem Ausgleich für die vorenthaltene Nutzung des Kapitals zwischen dem Unfall und dem Tag des Urteils oder der Einigung dient.
Als Ersatzleistung im Todesfall ist hauptsächlich der Versorgerschaden zu nennen. Anspruchsberechtigt sind Personen, die durch den Tod jemanden verloren haben, der für ihren Unterhalt aufgekommen ist. Er entsteht durch den Verlust von Geldleistungen (Erwerbseinkommen, Unterhaltsbeiträge, Renten usw.) oder durch den Wegfall von Naturalleistungen wie insbesondere von Haushaltarbeit. Wenn der Tod nicht sofort eingetreten ist, sind der Erwerbsausfall bis zum Tod und die Kosten der versuchten Heilung zu ersetzen. Zu entschädigen sind weiter die Kosten wie bei Körperverletzung und Invalidität, zusätzlich die Bestattungskosten. Den Angehörigen des Getöteten kann zusätzlich eine Genugtuung zugesprochen werden (Art. 47 OR).
3.2 Form der Leistungen
Haftpflichtleistungen, namentlich jene, die wiederkehrende Aufwendungen (z.B. Betreuungs- und Pflegeschaden) oder fehlende Einkünfte ersetzen, können periodisch ausgerichtet oder durch eine einmalige Abfindung abgegolten werden. In aller Regel leisten die Versicherungen jedoch Einmalzahlungen, mit der sie sowohl den bisher aufgelaufenen, vorübergehenden Schaden ersetzen als auch den zukünftigen und ausserdem die Genugtuungssumme begleichen. Das ist einer der wesentlichen Gründe für die oft lange Dauer der Verfahren, da die zukünftige Entwicklung erst nach einiger Zeit verlässlich abgeschätzt werden kann. Auch wenn der Schadenfall mit einer einmaligen Kapitalabfindung erledigt wird, leisten die Versicherungen häufig Akonto-Zahlungen, insbesondere zur Begleichung der aufgelaufenen unbestrittenen Kosten.
Die periodischen Leistungen werden mit Barwerttafeln (STAUFFER/SCHAETZLE/WEBER, Barwerttafeln und Berechnungsprogramme, 7. Aufl., Zürich 2018) kapitalisiert. Je nach dem ob der Ersatz für Erwerbseinkommen, das in der Regel bis zum Rentenalter erzielt wird, Haushaltschaden oder Rentenschaden zu kapitalisieren ist, werden unterschiedliche Tafeln verwendet (temporäre Aktivität, Aktivität, Mortalität). Versicherungen und spezialisierte Anwälte bedienen sich zu diesem Zweck verschiedener Computerprogramme (z.B. Leonardo und Capitalisator), die auf der Grundlage der genannten Barwerttafeln die detaillierte Berechnung der Barwerte auch von veränderlichen Leistungen erlauben.
3.3 Koordination mit den Sozialversicherungen
Bei vorübergehender wie dauernder Erwerbsunfähigkeit und auch im Todesfall erbringen verschiedene Sozialversicherungen Leistungen zu Gunsten des Verletzten oder der Angehörigen des Getöteten. Diese können stichwortartig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit wie folgt aufgelistet werden:
- AHV: Witwen-, Witwer- und Waisenrente;
- IV: Invalidenrente, Taggelder, Kosten der Wiedereingliederung und von Hilfsmitteln;
- Ergänzungsleistungen zu AHV und IV garantieren die Deckung des Existenzminimums, wenn Renten und die übrigen Einkünfte nicht ausreichen;
- Unfallversicherungen: Taggeld, Invalidenrente, Integritätsentschädigung, Witwen- sowie Witwer- und Waisenrente;
- Pensionskassen: Invalidenrente, Witwen-, Witwer- und Waisenrente, Beitragsbefreiung für Altersgutschriften;
- Militärversicherung: Invalidenrente, Witwen-, Witwer- und Waisenrente;
- Opferhilfe für Opfer von Straftaten nach dem Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten vom 23. März 2007 (Opferhilfegesetz, OHG, SR 312.5): Schadenersatz analog Art. 45 und 46 OR, Genugtuung; die Leistungen sind in jedem Fall subsidiär zu allfälligen anderen Leistungen.
Um Überentschädigungen zu vermeiden, wenn mehrere Sozialversicherungen leisten müssen, sind die Leistungen der Sozialversicherungen zu koordinieren (Art. 63 ff. ATSG). Das Gesetz bestimmt die Reihenfolge, in der die Versicherungen ihre Leistungen erbringen müssen. Die zuletzt Leistungspflichtigen kürzen ihre Leistungen, wenn der Geschädigte sonst finanziell bessergestellt wäre als ohne Unfall. Ebenso findet eine Leistungskoordination zwischen Haftpflicht- und Sozialversicherung statt. Da der Verletzte, Invalide und die Angehörigen eines Getöteten einen unbedingten gesetzlichen Anspruch auf die Leistungen der Sozialversicherungen haben, können sie vom Schadensverursacher bzw. dessen Versicherung nur die Differenz zwischen dem zugefügten Schaden und der Leistung der Sozialversicherung geltend machen. Die Sozialversicherung hat aber ein gesetzliches Regressrecht gegenüber dem Haftpflichtigen (Art. 72 ff. ATSG).
Besteht eine private Unfall(zusatz)versicherung, leistet diese bei Unfällen mit Invaliditätsfolge eine Invaliditätsentschädigung gemäss Art. 88 VVG. Diese ist regelmässig nicht von einer Erwerbseinbusse abhängig, sondern allein von der reinen Körperschädigung (nach Gliederskala). Diese Leistung wird weder mit den Leistungen aus Haftpflicht noch mit jenen der Sozialversicherungen koordiniert. Das Gleiche gilt für Unterstützungsleistungen privater Organisationen wie beispielsweise der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Diese richtet ihren Mitgliedern bei unfallbedingter Querschnittlähmung mit dauernder Rollstuhlabhängigkeit eine Unterstützung von CHF 250'000 aus.
4 Form der Besteuerung
Wie vorne erwähnt (Ziff. 3.2), können Haftpflichtversicherungen ihre Leistungen als Rente oder als einmalige Kapitalabfindung ausrichten. Soweit die Leistungen steuerbar sind, erfolgt die Besteuerung entsprechend unterschiedlich. Renten werden – unter verschiedenen Titeln – zusammen mit dem übrigen Einkommen zum ordentlichen Steuersatz besteuert. Demgegenüber werden einmalige Kapitalzahlungen, die bei Tod oder für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile ausbezahlt werden, von den übrigen Einkünften ausgeschieden und gesondert und zu einem reduzierten Tarif besteuert (§ 47 StG, Art. 38 DBG; ausführlich dazu: StB SO § 47 Nr. 1). In gleicher Weise werden auch die Invaliditätsentschädigung von Unfallversicherungen oder die Unterstützung für Paraplegiker besteuert.
In den nachfolgenden Abschnitten wird ausgeführt, ob und wie einzelne Leistungen aus Haftpflicht steuerbar sind, die Versicherungen im Zusammenhang mit Tod, Unfall und Invalidität ausrichten. Soweit spezielle Bestimmungen zur Anwendung gelangen, wird auf die dortigen Ausführungen im Steuerbuch verwiesen.
5 Besteuerung der Leistungen
Haftpflichtleistungen sind teils steuerbar, teils steuerfrei, weshalb eine Gesamtleistung in die einzelnen Elemente aufgeschlüsselt werden muss. Es ist also festzustellen, wie sich die gesamte Entschädigung im Einzelnen zusammensetzt, auch wenn eine pauschale Summe ausbezahlt wird. Das erfordert gewisse Kenntnisse, wie Geschädigte und ihre Vertreter ihre Forderungen gegenüber den Schadenverursachern und ihren Versicherungen substantiieren und begründen bzw. was diese anerkennen.
Die einzelnen möglichen Schadenselemente sind vorne, in Ziff. 3.1, kurz umschrieben. Nachstehend ist dargestellt, wie sie bemessen und steuerlich behandelt werden.
5.1 Erwerbsschaden
5.1.1 Ermittlung
Der Erwerbsschaden oder Erwerbsausfall setzt sich zusammen aus der bisherigen Einkommenseinbusse (bis zur Schadensregelung durch Urteil oder Vergleich) und dem zukünftigen Einkommensausfall wegen der verminderten oder vollständig wegfallenden Erwerbsfähigkeit. Für die Berechnung des zukünftigen Erwerbsschadens wird auf den Nettolohn abgestellt, der hypothetisch ohne das Schadenereignis hätte erzielt werden können (sog. Valideneinkommen). Dabei ist vom aktuellen Lohn auszugehen. Zu berücksichtigen ist indessen, dass sich das Einkommen während der verbleibenden Erwerbsdauer in den allermeisten Fällen verändert. Aufgrund der aktuellen beruflichen Position, der Ausbildung, der bereits erfolgten oder vorgesehenen beruflichen Weiterbildung ist die Lohnentwicklung bis zum Ende der Erwerbstätigkeit, d.h. bis zum Erreichen des Pensionierungsalters, abzuschätzen. Rechnung zu tragen ist zudem der Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau wegen Mutterschaft ihre Erwerbstätigkeit vorübergehend einschränkt oder gar aufgibt. Umgekehrt ist auch der berufliche Wiedereinstieg einer gerade nicht erwerbstätigen Person zu beachten. Von diesem Valideneinkommen sind das mögliche Erwerbseinkommen, das aufgrund der verbleibenden Erwerbsfähigkeit noch erzielt werden kann, sowie die Leistungen der Sozialversicherungen, d.h. die Invalidenrenten von IV, Unfallversicherung und beruflicher Vorsorge abzuziehen.
Die Anrechnung der Invalidenrenten aus Unfallversicherung und beruflicher Vorsorge aufgrund der Koordination der Leistungen (Ziff. 3.3) kann insbesondere bei Personen, die nur noch geringe Lohnsteigerungen zu erwarten hatten, dazu führen, dass der durch den Haftpflichtigen direkt zu ersetzende Erwerbsschaden gering ausfällt. Entsprechend beziehen sie höhere Invalidenrenten.
5.1.2 Steuerliche Behandlung
Der Ersatz des Erwerbsschadens stellt ein Ersatzeinkommen dar. Die Leistungen sind steuerbar (§ 31 lit. a und b StG, Art. 23 lit. a und b DBG). Sofern sie periodisch ausgerichtet werden, sind sie zu 100 % zusammen mit übrigem Einkommen zu versteuern. Kapitalleistungen werden getrennt vom übrigen Einkommen, aber zum gemilderten Vorsorgetarif (1/4 des ordentlichen Tarifs bei der Staatssteuer, 1/5 bei der Bundessteuer) besteuert (§ 47 StG und Art. 38 DBG; siehe StB SO § 47 Nr. 1).
5.2 Versorgerschaden im Todesfall
5.2.1 Ermittlung
Der Versorgerschaden berechnet sich nach dem konkreten Schaden, der sich aus dem Verlust des Versorgers ergibt. Dabei sind im Wesentlichen die folgenden Kriterien in Betracht zu ziehen:
- Mutmassliches Einkommen des Verstorbenen: Dieses ist grundsätzlich anhand des Einkommens am Todestag bzw. im Zeitpunkt des Schadenereignisses zu ermitteln. Allerdings sind zukünftige Entwicklungen – analog zum Erwerbsschaden bei Körperverletzung und Invalidität – mitzuberücksichtigen (vgl. Ziff. 5.1.1), ebenso der Umstand, dass ab dem Pensionierungsalter das Erwerbseinkommen durch das tiefere Renteneinkommen ersetzt wird. Einzubeziehen sind auch Naturalleistungen der getöteten Person, namentlich Hausarbeit oder unentgeltliche Mitarbeit im Geschäft.
- Mutmassliche Unterstützungsquote: Hier ist abzuschätzen, welchen Teil des Einkommens der Verstorbene für den Unterhalt der anspruchsberechtigten Person aufgewendet hätte. Wegen der Fixkosten ergibt sich beim Tod eines Ehegatten in der Regel ein Versorgerschaden von über 50 %. Normalerweise kann für ein Kind mit einer Unterhaltsquote von 10 % bis 15 % gerechnet werden.
- Mutmassliche Dauer der Unterstützung: Es stellt sich nicht nur die Frage, wann die Unterstützung geendet hätte (z.B. Abschluss der Ausbildung des Kindes), sondern allenfalls auch, wann sie beginnen würde (z.B. Tod eines verheirateten Medizinstudenten, der die Rolle des Versorgers bald hätte übernehmen können). Hier können je nach Situation sehr unterschiedliche Kriterien massgebend sein, wie die Lebenserwartung des Verstorbenen und des Anspruchsberechtigten, die Chancen der Wiederverheiratung beim Tod des Ehegatten, die voraussichtliche Dauer der Berufsausbildung des anspruchsberechtigten Kindes usw.
Vom so ermittelten Schaden ist das abzurechnen, was die anspruchsberechtigte Person aufgrund des Schadenereignisses anderweitig an vermögenswerten Vorteilen erhält. Zu nennen sind insbesondere die Leistungen der Sozialversicherungen, die mit der Haftpflichtleistung koordiniert werden (vgl. Ziff. 3.3), oder die Erträge der angefallenen Erbschaft. Leistungen von Lebensversicherungen, die der Versorgte als Begünstigter erhält, werden hingegen nicht an den Versorgerschaden angerechnet (Art. 96 VVG), führen also nicht zu einer Kürzung des Versorgerschadens.
5.2.2 Steuerliche Behandlung
Der Ersatz des Versorgerschadens ist als einmalige oder wiederkehrende Zahlung bei Tod als Einkommen steuerbar (§ 31 lit. b StG, Art. 23 lit. b DBG). Werden die Leistungen ausnahmsweise periodisch ausgerichtet, sind sie zu 100 % zusammen mit übrigem Einkommen zu versteuern. Kapitalleistungen werden getrennt vom übrigen Einkommen, aber zum Vorsorgetarif (1/4 des ordentlichen Tarifs bei der Staatssteuer, 1/5 bei der Bundessteuer) besteuert (§ 47 StG und Art. 38 DBG; siehe StB SO § 47 Nr. 1).
5.3 Rentenschaden
5.3.1 Ermittlung
Der Rentenschaden wird als Differenz ermittelt zwischen den Altersleistungen aus AHV und beruflicher Vorsorge, die der Verunfallte ohne das schädigende Ereignis hätte erreichen können, und jenen, die er danach und wegen der reduzierten Beiträge aufgrund der Schädigung noch erwarten kann. Der Rentenschaden beginnt mit dem Erreichen des Rentenalters und endet mit dem Tod.
5.3.2 Steuerliche Behandlung
Der Ersatz des Rentenschadens ist als Zahlung für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile als Einkommen steuerbar (§ 31 lit. b StG, Art. 23 lit. b DBG). Werden die Leistungen ausnahmsweise periodisch ausgerichtet, sind sie zu 100 % zusammen mit übrigem Einkommen zu versteuern. Kapitalleistungen werden getrennt vom übrigen Einkommen, aber zum Vorsorgetarif (1/4 des ordentlichen Tarifs bei der Staatssteuer, 1/5 bei der Bundessteuer) besteuert (§ 47 StG und Art. 38 DBG; siehe StB SO § 47 Nr. 1).
5.4 Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens
Generelle Regeln, wie die Höhe dieses Schadenselementes zu ermitteln ist, lassen sich kaum aufstellen. Auf jeden Fall handelt es sich um die Abgeltung wirtschaftlicher Nachteile, die von der Genugtuung abzugrenzen ist. Die Leistungen sind als Zahlungen für bleibende körperliche oder gesundheitliche Nachteile als Einkommen steuerbar (§ 31 lit. b StG, Art. 23 lit. b DBG), Kapitalleistungen getrennt vom übrigen Einkommen zum Vorsorgetarif (§ 47 StG und Art. 38 DBG).
5.5 Haushaltschaden
5.5.1 Ermittlung
Massgebend für die Berechnung des Haushaltschadens sind
- der mutmassliche Aufwand für Hausarbeit ohne Schadenereignis, ausgehend von der bisherigen Tätigkeit,
- die Einschränkung der geschädigten Person in der Haushaltstätigkeit und
- der geschuldete Ersatzlohn für die Stunden, die sie nicht mehr leisten kann.
Weil in der Regel das Ausmass der bisherigen Arbeitsleistung im Haushalt nicht nachweisbar ist, kann nach der Rechtsprechung der Nachweis mit repräsentativen statistischen Werten erbracht werden. Anerkannt sind die Tabellen der schweizerische Arbeitskräfteerhebung des Bundesamtes für Statistik (SAKE; abrufbar unter www.sake.bfs.admin.ch). Diese zeigen den durchschnittlichen Zeitaufwand für die Haus- und Familienarbeit auf, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Altersgruppe, Bildungsniveau, Hauptaktivität und Familiensituation. Welcher Wert, welche Tabelle massgebend sein soll, muss mit den konkreten Umständen nachvollziehbar begründet sein, insbesondere Alter und Erwerbsstatus der geschädigten Person sowie Anzahl und Alter der im gleichen Haushalt lebenden Personen. Dabei ist die zukünftige Entwicklung der Haushaltstruktur (z.B. Wegzug der Kinder, Pensionierung mit vermehrter Tätigkeit im Haushalt) zu berücksichtigen. Der Schaden wird für jeden Zeitabschnitt bis zum Ende der Aktivität, d. h. solange die Person arbeitsfähig bleiben würde, gesondert bestimmt.
Beim Ausmass der Einschränkung wird auf die Einschätzung der medizinischen Experten abgestellt, die aufzeigen muss, bei welcher Art von Hausarbeit Einschränkungen bestehen und in welchem Umfang.
Für die Bestimmung des Ersatzlohnes ist vom Stundenlohn einer Haushalthilfe (ca. CHF 25) auszugehen. Im Einzelfall kann dieser Stundenlohn um einen Qualitätszuschlag erhöht werden, so dass maximal ein Stundenansatz von CHF 30 angemessen ist.
Beispiel: Der 40-jährige, verheiratete Vater eines 10-jährigen Kindes, bisher zu 100 % erwerbstätig, erleidet aufgrund eines Verkehrsunfalles eine Teilinvalidität, die ihn künftig daran hindert, im Haushalt zu kochen, abzuwaschen, zu putzen, zu waschen, Reparaturen vorzunehmen, Haustiere zu versorgen und Pflanzen zu pflegen. Nach den SAKE-Tabellen 2016 wendet ein Vater in einem dreiköpfigen Haushalt mit einem 7 bis 14-jährigen Kind für diese Arbeiten durchschnittlich 10.9 Stunden pro Woche auf (von total 24.6 Std. Hausarbeit pro Woche). Ab dem15. bis zum 17. Altersjahr des Kindes sind es 12.2 Std., vom 18. bis 24. Altersjahr 11.2 Std., nach dem Auszug des Kindes im Paarhaushalt bis zum Pensionierungsalter 10.9 Std., anschliessend bis zum 79. Altersjahr wieder 13.1 Std. und ab 80 Jahren noch 10.9 Std. Das ergibt die folgende Berechnung des jährlichen Haushaltschadens: |
Alter | Std./Woche | Ansatz | Anzahl Wochen | Schaden pro Jahr |
---|---|---|---|---|
40 - 44 Jahre | 10.9 | 25 | 52 | 14170 |
45 - 47 Jahre | 12.2 | 25 | 52 | 15860 |
48 - 54 Jahre | 11.2 | 25 | 52 | 14560 |
55 - 64 Jahre | 10.9 | 25 | 52 | 14170 |
65 - 79 Jahre | 13.1 | 25 | 52 | 17030 |
ab 80 Jahren | 10.9 | 25 | 52 | 14170 |
Die Beträge werden nicht einfach addiert, sondern ebenfalls kapitalisiert (vgl. Ziff. 3.2). Ein Teuerungsausgleich beim Ersatzlohn ist nicht vorzusehen, die Anpassung erfolgt über den Kapitalisierungssatz. Insbesondere bei nicht erwerbstätigen Personen ist der Haushaltschaden mit den Leistungen der Invalidenversicherung zu koordinieren (vgl. Ziff. 3.3).
5.5.2 Steuerliche Behandlung
Beim Haushaltschaden handelt es sich, mindestens soweit die Hausarbeit von (entlöhnten) Drittpersonen übernommen wird, um einen echten Schadenersatz. Im Zeitpunkt der Auszahlung kann jedoch nicht beurteilt werden, ob und in welchem Umfang aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung inskünftig eine Haushalthilfe angestellt wird. Zudem ist festzuhalten, dass der Wert der eigenen Hausarbeit steuerlich nicht erfasst wird. Deshalb bleibt der Ersatz des Haushaltschadens generell steuerfrei (BGE 132 II 128 Erw. 4.2).
Im Fall einer Behinderung stellen Mehrkosten der Haushaltführung behinderungsbedingte Kosten dar, die nach § 41 Abs. 1 lit. m StG und Art. 33 Abs. 1 lit. hbis DBG von den Einkünften abgezogen werden können (Kreisschreiben ESTV Nr. 11 vom 31. August 2005, Ziff. 4.3.2). Der Abzug ist jedoch in dem Umfang ausgeschlossen, als dafür eine Entschädigung ausgerichtet worden ist, da nur die selbst getragenen Kosten abziehbar sind. Sie werden erst dann wieder zum Abzug zugelassen, wenn die Kapitalleistung aufgebraucht ist (Schattenrechnung; zum Vorgehen, siehe Ziff. 5.11).
5.6 Betreuungs- und Pflegeschaden
Der Betreuungs- und Pflegeschaden ist im Einzelnen nachzuweisen. Bei einer Heimbetreuung werden die entsprechenden Kosten entschädigt. Wird die Betreuung und Pflege durch Angehörige oder Drittpersonen zu Hause erbracht, hat die Schadenberechnung ähnlich wie beim Haushaltschaden zu erfolgen. Soweit die Pflege durch qualifiziertes Fachpersonal erfolgt, sind die Stundenansätze entsprechend zu erhöhen. Der Betreuungs- und Pflegeschaden ist lebenslänglich zu ersetzen (Haushaltschaden bis zum Ende der Aktivität).
Der Ersatz des Betreuungs- und Pflegeschadens ist als echter Schadenersatz ebenfalls steuerfrei. Was den Abzug der behinderungsbedingten Kosten betrifft, kann auf die vorstehenden Ausführungen beim Haushaltschaden verwiesen werden (Ziff. 5.5.2 am Ende).
5.7 Kosten
Der Geschädigte wird die Kosten, also die Rettungskosten, Heilungskosten (Arzt, Spital, Rehabilitation), Kosten für Therapie und Hilfsmittel usw., gegenüber dem Haftpflichtigen bzw. seinem Versicherer spezifizieren sowie nachweisen (bisherige) und begründen (zukünftige Kosten) müssen. In der Regel separat aufgeführt und direkt ausbezahlt werden die Anwaltskosten und – wenn es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung gekommen ist – die Gerichtskosten. Denn diese stehen erst fest, wenn das Verfahren abgeschlossen ist.
Der Ersatz der Kosten ist steuerfrei, entweder als Schadenersatz oder als Zahlung für die Deckung von Heilungskosten (§ 32 lit. k und l StG). Da die unfallbedingten und allenfalls zukünftigen invaliditätsbedingten Mehraufwendungen ersetzt wurden, können diese Kosten erst wieder abgezogen werden, wenn die Kapitalleistung aufgebraucht ist (Schattenrechnung; zum Vorgehen, siehe Ziff. 5.11). Werden dem Geschädigten Kosten ersetzt, die er seit dem Unfall selbst aufgewendet hat und die er steuerlich als behinderungsbedingte Kosten abziehen konnte, z.B. für den Einbau eines Treppenliftes oder für andere Hilfsmittel (§ 41 Abs. 1 lit. m StG, Art. 33 Abs. 1 lit. hbis DBG), ist der Ersatz zusammen mit dem übrigen Einkommen zu besteuern.
5.8 Genugtuung
Sowohl die haftpflichtrechtliche Genugtuung als auch jene nach Art. 22 f. Opferhilfegesetz sind gemäss § 32 lit. g StG und Art. 24 lit. g DBG steuerfrei. Ihnen gleichgestellt ist die Integritätsentschädigung nach Art. 24 UVG (Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 20. März 1981; SR 832.20). Ausführlich zur Genugtuung, insbesondere auch zur Höhe der üblichen Genugtuungsleistungen, siehe StB SO § 32 Nr. 8.
5.9 Schadens- oder Verzugszins
5.9.1 Ermittlung
Der Schadenersatz ist auf den Zeitpunkt der Urteilsfällung zu berechnen, bei vergleichsweiser Einigung auf den Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses. Der Schadenszins ist vom Zeitpunkt an geschuldet, seit dem sich das schädigende Ereignis finanziell ausgewirkt hat. Bei einem periodischen, in der Höhe gleichbleibenden Schaden (z.B. beim bisherigen Erwerbsausfall oder Haushaltschaden) wird auf einen mittleren Verfall abgestellt. Der Schadenszins beträgt 5 % (Art. 73 Abs. 1 OR). Nicht zu verzinsen ist der Ersatz des zukünftigen Schadens, denn dieser wird vorausbezahlt und deshalb bei der Kapitalisierung diskontiert (abgezinst). Wie der Schadenersatz ist nach ständiger Rechtsprechung auch die Genugtuung zu verzinsen, nicht aber die Integritätsentschädigung, die mit der Invalidenrente bzw. bei Beendigung der ärztlichen Behandlung gewährt wird (Art. 24 Abs. 2 UVG; Urteil KSG SGSTA.2014.38 vom 10. November 2014). Der Genugtuungszins beträgt ebenfalls 5 %, und zwar ab dem Schadenereignis (BGE 134 III 97). Es ist also davon auszugehen, dass die Haftpflichtleistung regelmässig einen Zinsanteil enthält, auch wenn dieser nicht separat ausgewiesen ist.
5.9.2 Steuerliche Behandlung
Der Schadens- oder Verzugszins stellt steuerbaren Vermögensertrag dar, der zusammen mit dem übrigen Einkommen zu versteuern ist (§ 26 Abs. 1 lit. a StG, Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG). Das gilt sowohl für den Zins auf dem Schadenersatz, ungeachtet ob die Schadenersatzleistung steuerbar ist oder nicht, als auch für den Genugtuungszins (Urteil BGer 2A.743/2005 vom 4. Juli 2006; RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, N 31 zu Art. 20 DBG). Für die Bestimmung des Steuersatzes ist der Zins durch die Anzahl Jahre zwischen dem Schadenereignis und der Auszahlung zu dividieren (§ 46 StG, Art. 37 DBG; Urteile BGer 2C_415/2015 vom 31. März 2016 und 2C_486/2014 vom 18. Juli 2016).
5.10 Ermittlung der steuerbaren Leistungen
In der Regel vergüten die Versicherungen sämtliche Leistungen inkl. Genugtuung in einer pauschalen Kapitalabfindung. Damit stellt sich das Problem, wie die Gesamtpauschale in die steuerbaren und steuerfreien Komponenten aufzuteilen ist.
Grundsätzlich unterliegen alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte der Einkommenssteuer (§ 21 Abs. 1 StG, Art. 16 Abs. 1 DBG). Steuermindernde Tatsachen hat der Steuerpflichtige nachzuweisen. Er ist deshalb aufzufordern, nachzuweisen und zu begründen, wie sich der Gesamtbetrag im Einzelnen zusammensetzt (Erwerbs- oder Versorgerschaden, Rentenschaden, Haushaltschaden, Betreuungs- und Pflegeschaden, Kosten [je bisher und zukünftig], Genugtuung und Zinsen). Gestützt auf diese Angaben und die entsprechenden Belege ist die Aufteilung zu plausibilisieren und zu prüfen, ob die steuerbaren Elemente besonders tief ausfallen (z.B. geringer Erwerbsschaden trotz tiefer Renteneinkünfte) oder gänzlich fehlen (z.B. Schadenszins) bzw. ob die steuerfreien Elemente (insb. Haushaltschaden und Genugtuung) unüblich hoch erscheinen. Erscheint die vom Steuerpflichtigen, von seinem Anwalt oder von der Versicherung vorgenommene Aufteilung fragwürdig, ist vom Steuerpflichtigen in einem nächsten Schritt vorerst die spezifizierte erste Forderungseingabe (des Anwalts) an die Versicherung einzufordern. Bleiben unerklärliche Differenzen, die der Steuerpflichtige nicht schlüssig begründen kann, besteht schliesslich die Möglichkeit, sämtliche Verhandlungsunterlagen mit der Versicherung sowie allfällige Leonardo-Berechnungen einzuverlangen.
Reicht der Steuerpflichtige trotz Mahnung die verlangten Unterlagen nicht ein oder bleibt trotz der eingereichten Unterlagen unklar, wie sich die Versicherungsleistung zusammensetzt, wird in diesem Punkt eine Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen vorgenommen (§ 147 Abs. 2 StG, Art. 130 Abs. 2 DBG). Dabei sind von der gesamten Versicherungsleistung die steuerfreien Elemente abzuziehen, die aufgrund der vorhandenen Unterlagen nach pflichtgemässem Ermessen zu schätzen sind. Ebenso sind die Zinsen von der Kapitalleistung abzuziehen, da sie zusammen mit dem übrigen Einkommen besteuert werden (Ziff. 5.9). Die steuerbare Kapitalleistung wird damit wie folgt ermittelt:
Gesamtleistung der Versicherung
./. Haushaltschaden
(ohne Zins auf bisherigem Schaden)
./. Betreuungs- und Pflegeschaden
(ohne Zins auf bisherigem Schaden)
./. Kosten
(ohne Zins auf bisherigem Schaden)
./. Genugtuung
(ohne Zins)
./. Schadens- oder Verzugszins
= Steuerbare Kapitalleistung
Wenn kein Zins ausgewiesen wird, ist davon auszugehen, dass er in den einzelnen Schadenspositionen bereits enthalten ist. Wird beispielsweise drei Jahre nach dem Schadenereignis eine Genugtuung von CHF 57‘500 ausgerichtet, entspricht dieser Betrag 115 % der Genugtuung, weil damit auch 5 % Zins für drei Jahre abgegolten werden. Die Genugtuung beträgt also CHF 50‘000 (57‘500 : 115 x 100), bzw. der Zins CHF 7‘500 (57‘500 : 115 x 3 x 5).
Beispiel: Ignazio Invalido, geb. 1962, hat im Juni 2012 unverschuldeterweise einen schweren Verkehrsunfall erlitten und ist seither arbeitsunfähig. Sein Anwalt konnte den Fall mit der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers im April 2018 abschliessen. Sie leistet gemäss ihrer Aufstellung für den bisher erlittenen Schaden und als Genugtuung die folgenden Beträge (der Ersatz des zukünftigen Schadens bleibt hier ausgeklammert): |
Bisheriger Erwerbsschaden | 100'000 | |
Bisheriger Haushaltschaden | 75'000 | |
Ersatz bisheriger Kosten | 90'000 | 265'000 |
Genugtuung | 70'000 | |
Total | 335'000 |
Weil kein Schadens- oder Verzugszins ausgewiesen wird, sind die Beträge inkl. einem Zins von 5 % pro Jahr zu verstehen. Die Genugtuung ist seit dem Unfall zu verzinsen (Ziff. 5.9.1), also für 70 Monate. Da der Schadenersatz nach und nach entstanden ist, kann für die Verzinsung ein mittlerer Verfall angenommen werden (Ziff. 5.9.1), so dass der Zins für 35 Monate geschuldet ist. Die Zinsen berechnen sich wie folgt:
Zins auf Schadenersatz: | ||||||||
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Für die Satzbestimmung wird dieser Zins auf ein Jahr umgerechnet (33‘727 : 35 x 12 = 11‘563). Der steuerbare Ersatz des Erwerbsschadens (separat besteuert) ist um den anteiligen Zins zu kürzen, der zusammen mit dem übrigen Einkommen als Vermögensertrag besteuert wird (100‘000 – [33‘727 : 265 x 100] = 100‘000 – 12‘727 = 87‘273). | ||||||||
Zins auf Genugtuung (ab Unfall): | ||||||||
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5.11 Schattenrechnung der behinderungsbedingten Kosten
Wie oben bereits dargelegt (Ziff. 5.5.2 und 5.7), stellen im Fall der Invalidität die Mehrkosten der Haushaltführung behinderungsbedingte Kosten dar, die nach § 41 Abs. 1 lit. m StG und Art. 33 Abs. 1 lit. hbis DBG von den Einkünften abgezogen werden können (StB SO § 41 Nr. 9; Kreisschreiben ESTV Nr. 11 vom 31. August 2005, Ziff. 4.3.2). Das Gleiche gilt für eine Vielzahl von Kosten, die infolge einer Behinderung anfallen (vgl. die Auflistung im Kreisschreiben Nr. 11, Ziff. 4.3). Der Abzug ist jedoch in dem Umfang ausgeschlossen, als dafür eine Entschädigung ausgerichtet worden ist, da nur die selbst getragenen Kosten abziehbar sind. Sie werden deshalb erst dann wieder zum Abzug zugelassen, wenn die Kapitalleistung „aufgebraucht“ ist. Die steuerpflichtige Person hat deshalb den Nachweis zu erbringen, dass die tatsächlich entstandenen behinderungsbedingten Kosten die Höhe der Entschädigung übersteigen. Ausführlich dazu StB SO § 41 Nr. 9.
6 Direkte Bundessteuer
Die Regelung bei der direkten Bundessteuer ist grundsätzlich identisch.